von Michael Höllen
Jon Lord (Ex-Deep Purple)
mit dem Filmorchester Babelsberg und Demon's Eye
21. November 2010 - Philharmonie im Gasteig, München
Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 1969. Schallplatte Stereo, auch
Mono abspielbar. Tonabnehmer behutsam aufsetzen und
abheben. Diese Worte zieren meine Vinyl-Scheibe der Aufnahme des
"Concerto for Group and Orchestra" von Deep Purple &
The Royal Philharmonic Orchestra. Als Fan von Deep Purple aus
den 70ern war auch diese Scheibe Pflicht für meine
Plattensammlung. Aber wie lange habe ich diese Aufnahme nicht
mehr gehört?
Angeregt von den überwältigenden Kritiken der
bisherigen Konzerte von Jon Lord zusammen mit Demon's Eye,
Europe's No. 1 Tribute to Deep Purple, war das Konzert in
München für mich die nächste Gelegenheit, diesen
Meilenstein in der Geschichte des Classic-Rock einmal live zu
erleben. Um es vorweg zu nehmen: Es war ein einzigartiges
Musikerlebnis der ganz besonderen Art. Worte können kaum
beschreiben, was Jon Lord mit Band und Orchester über zwei
Stunden lang auf der Bühne präsentierte. Ich versuche
es gleichwohl ...
Das Filmorchester Babelsberg und die Mitglieder von Demon's Eye
betreten die Bühne. Als sich die Tür zum
Backstage-Bereich erneut öffnet, erscheint mit flinkem
Schritt Jon Lord, der mit einem Riesenapplaus in München
begrüßt wird. Jon Lord moderiert
höchstpersönlich in sehr sympathischer Art durch den
Abend, mal mit Augenzwinkern, mal mit Lob oder Anspielung auf
seine früheren Bandkollegen. Als First Set kündet Jon
Lord feierlich das 'Concerto - my Baby - for Group and
Orchestra' an; ein musikalischer Kampf zwischen Band und
Orchester. Das Concerto dauert knapp 60 Minuten und besteht aus
drei 'Movements'.
Mein Platz in Reihe fünf bietet freie Sicht auf Jon Lord
und die Band – wunderbar! Sehr leise - und für meine
Rock-/Pop-Ohren doch etwas ungewohnt - beginnt das Orchester mit
Movement 1 des Concertos. Aber schon bald erkenne ich die
Melodie – ich muss die Scheibe in früheren Jahren
doch wohl recht intensiv gehört haben. Der tiefe Klang des
Orchesters, die Tonvielfalt, die gewaltige Dynamik –
umwerfend! Das Tempo und die Dramatik der Musik wandelt und
steigert sich – Streichinstrumete zupfen / streichen,
Holz- und Blechbläser wechseln sich ab oder ergänzen
einander, mal zurückhaltend leise dann wieder gewaltig
ausladend.
Nach einigen Minuten übergibt das Orchester an die
Band. Jon Lord steigt mit ein paar Takten auf der Hammond ein,
um alsbald die Führung an Mark Zyk an der Gitarre
abzugeben. Wer das Original mit Ritchie Blackmore im Ohr hat,
wird dieser Stelle des Konzerts wohl gespannt
entgegensehen. Keine Panik! Was Mark Zyk an der Strat zaubert
ist atemberaubend. Ja, genau so muss es sich auch Ende der 60er
angehört haben. Mark spielt in München einen Engl-Amp
mit einer kleineren VOX-Guitarbox. Die Kombination gefällt
mir persönlich an dem Abend extrem gut. Der Sound kommt
schön zentriert und messerscharf von der Bühne. Die
Hammondorgel von Jon Lord erklingt grandios voluminös im
typischen Hammondsound. Der folgende altbekannte 'Kampf'
zwischen Strat und Hammond lässt das Herz eines jeden
langjährigen Deep Purple-Fans höherschlagen. Virtuos
und extrem flink an den Tasten zieht Jon Lord alle Register
seines Könnens. Mark Zyk macht vergessen, dass dort nicht
das Original von damals steht. Die Blicke von Jon Lord verraten,
dass er extrem zufrieden ist und sich vielleicht sogar sehr
gerne an die 'good old days' erinnert fühlt. Im letzten
Drittel des Movement 1 geht es noch mehrfach hin und her
zwischen Band, Hammond und Orchester. Die Dynamik reicht dabei
von einer Oboe in Begleitung schnippender Finger, der Strat oder
Hammond alleine oder beide zusammen sowie einem Orchester von
piano bis forte. Was für eine geniale Dramaturgie.
Im zweiten Movement geht es insgesamt ruhiger zu. Für die
folgenden Gesangsparts betreten Kasia Laska sowie Steve Balsamo
die Bühne. Das Orchester spielt über einige Minuten
getragene Themen. Zum Gesang begleitet - zunächst kaum
wahrnehmbar - die Band Demon's Eye. Die Stimmen sind passend
– wenn auch vom Stimmvolumen nicht ganz mein
persönlicher Geschmack. Es folgen weitere Klassikpassagen
des Orchesters, um in einem poppigen Blues-Arrangement mit Band
und Gesang aufzugehen. Jon Lord steigt an der Hammond ebenfalls
ins Thema ein. Es folgt ein Wechselspiel zwischen Orchester,
Band und Jon Lord an den Keyboards. Insbesondere imponiert mir
in diesem Movement der gewaltige Dynamikumfang sämtlicher
Player. Auch lebt Part II von einem besonderen Kontrast der
Instrumente. Das Orchester führt diesen Teil des Concertos
zum Schluss mit klassischen Themen zu einem ruhigen Ende.
Movement III startet schwungvoll – so hatte es Jon Lord
auch zu Beginn angekündigt. Die Streicher begleiten
rhythmisch die führenden Blasinstrumente. Kräftige
Pauken setzen Akzente. Andree Schneider am Schlagzeug gesellt
sich hinzu. Jon Lord tritt das Pedal seiner Hammond ganz
durch. Mit 'Vollgas' übernimmt er zunächst die
Führung der Band. Es folgt eine leider nur kurze Passage,
von der ich nicht genug bekommen kann. Mark Zyk spielt auf der
Strat zurückhaltend eine Art 'Westernmelodie' – Jon
Lord wiederholt diese Melodie um anschließend zu einem
abwechselnden Solo-Duell sowie Zusammenspiel zwischen Gitarre,
Band und Orchester überzuleiten. Er zieht dabei erneut alle
Register seiner Hammond. Zyk begleitet rhythmisch, die Streicher
des Orchesters übernehmen diesen Rhythmus. Es folgt ein
weiteres grandioses Gitarrensolo – und dauernd habe ich
dabei Meister Blackmore im Ohr – Mark Zyk an der Strat ist
ganz einfach fantastisch! Weiter geht es mit Pauken und
Trompeten – eine Passage, die in einem irren Drum-Solo von
Andree Schneider mündet – auch hier höre ich den
Sound aus alten Purple-Tagen mit Ian Paice am
Drum-Set. Große Klasse! Movement III bläst nun zum
großen Finale des Concertos. Gemeinsam beenden Orchester,
Band und Hammond den Kampf und fordern mit einem kräftigen
Schlusspunkt das Publikum zu den ersten Standing Ovations des
Abends. WOW, was für ein grandioses Erlebnis!? Beim
Verlassen der Bühne geht Jon Lord an seiner Hammondorgel
vorbei, um zufrieden lächelnd das gute Stück liebevoll
und dankbar zu berühren.
Nach der Pause folgen Solostücke aus den verschiedenen
Schaffensphasen des Tasten-Meisters Jon Lord.
Ein leiser Gong zum Orchester wächst sich zu einem Grollen
aus. Die Drums von Andree Schneider geben den Takt zum Intro von
'Pictures of Home' (Machine Head, 1972) vor. Die Stimme von
Steve Balsamo ist mir hier erneut etwas dünn, auch wenn er
die hohen Passagen wirklich sehr gut trifft. Vielleicht sitze
ich aber auch zu weit vorne. Der Gesang kommt irgendwie
losgelöst von oben aus der PA über der Bühne. Das
Solo von Jon Lord in dem Song – EINE WUCHT! Absolut starke
Passagen haben auch Maik Keller am Bass (Solo), Mark Zyk, Andree
Schneider und immer wieder Jon Lord (Solo und Begleitung).
Zum nächsten Song bittet Jon Lord erneut die Sängerin
Kasia Laska auf die Bühne. Er nimmt am Steinway Platz. Es
folgt 'The sun will shine again', welches Jon Lord im Jahr 2005
Anna-Frid von Abba auf die Stimmbänder geschrieben hat. Das
Orchester begleitet Jon Lord am Flügel. Ein wenig kommt
Musical-Stimmung im Titanic-Stil von Celine Dion auf. Schön
gesungen, Kasia!
Ohne Ankündigung folgt Bourrée von Jon Lord's
'Sarabande'. Der spontane Applaus zeigt – das Publikum
kennt das Stück auch ohne Ansage. Etwas schräg
orientalisch angehaucht steigert sich das Orchester in die
Melodie. Jon Lord hat seinen Einsatz am Flügel, die Band
gibt unverkennbar den flotten Rhythmus vor.
Kontrastreich geht es weiter mit der Ballade 'Pictured
Within'. Jon Lord am Flügel, das Orchester mit wunderbarem
Klangteppich und die hier perfekt passende Stimme von Steve
Balsamo lassen Zeit zum Träumen. Wundervoll!
Jon Lord startet am Flügel ein Experiment: 'The Teleman
Experiment'. Bläser und Streicher kommen hinzu, die Band
bringt sich ein. Bei diesem Song steht eher das Zusammenspiel
der Rock- und Klassik-Fraktionen im Vordergrund. Dem Applaus
nach zu urteilen: Experiment gelungen!
Den nächsten Song 'Wait a while' hat Jon Lord u.a. mit der
englischen Sängerin und Songwriterin Sam Brown mehrfach
aufgeführt. Heute Abend steht Kasia Laska am Mikrofon und
macht hier einen ganz hervorragenden Job. Die sehr
zurückhaltende Begleitung von Flügel und Streichern
geben dem Stück eine hoch emotionale Note.
Genug geträumt. Fetzig-rockig geht es weiter mit 'Gigue',
Flügel, Hammond und Orchester spielen sich die Passagen
zu. Jon Lord wechselt mit den Notenblättern vom Flügel
zur Hammond – und agiert erneut virtuos an den Reglern und
Tasten. Sein langer Solopart bei diesem Stück ist von
besonderer Intensität, so als wolle er zum Finale um kurz
nach 22 Uhr aber auch das allerletzte aus seiner Hammond
rauskitzeln. Einfach unglaublich, dieser Mann soll schon 69
Jahre alt sein?
Zum brausenden Applaus bedankt sich Jon Lord bei den
Sängern, dem Dirigenten, den Orchestermusikern sowie den
Jungs von Demon's Eye.
Zugabe, Zugabe, Zugabe ... die Zuschauer müssen nicht lange
bitten, Jon Lord kehrt zurück auf die Bühne und tritt
ans Mikrofon. Er kündigt einen Song aus den Federn seiner
Freunde David Coverdale und Ritchie Blackmore an: 'Soldiers of
Fortune'. Den Titel habe ich live schon mehrfach von Rainbow und
auch Blackmore's Night gehört. An diesem Abend erlebte ich
eine ganz besondere Version mit leisem Orchester nebst
wundervoll tragendem Hammondsound. Die Stimmen von Kasia Laska
und Steve Balsamo wirken sehr stimmig bei ganz eigenem Charakter
zu diesem Purple-Klassiker.
Jon Lord bedankt sich nach diesem Song nochmals bei den Musikern
auf der Bühne und richtet seinen Dank auch sehr herzlich an
das Publikum. Er dankt für die jahrelange Treue der Fans
und konstatiert offensichtlich gerührt, überaus
dankbar und von Herzen kommend 'It's great'. Man glaubt es ihm
aufs Wort!
Schlusspukt unter diesen grandiosen Abend setzt die Deep Purple
Hymne 'Child in Time'. Bei diesem Jahrtausend-Klassiker kommt
jeder Akteur nochmals so richtig in Fahrt. Jon Lord an der
Hammond, Balsamo und Laska an den Mikros, Mark Zyk
unverwechselbar an der Fender Stratocaster im Original
Blackmore-Sound nebst Strat-Akrobatik, Maik Keller
malträtiert erneut seinen Bass und Andree Schneider
strapaziert mörderisch die Felle des Drum-Sets. Diesen Song
mit der Klanggewalt eines Orchesters zu erleben ... mir fehlen
die Worte. Das muss man ganz einfach selbst gehört haben.
Finale grande!
Tosender Applaus brandet nach den letzten Tönen
auf. Minutenlange Standing Ovations folgen. Dank an Jon Lord!
Dank an Demon's Eye! Und danke allen anderen Musikern für
diesen unvergesslichen Abend. Für mich steht schon beim
Schlussapplaus fest: wir sehen uns bei nächster Gelegenheit
wieder. Bis dahin lebe ich in Vorfreude auf die neue CD von
Demon's Eye, die die Band zusammen mit Ex-Rainbow Doogie White
im Studio eingespielt hat. Die CD wird im Frühjahr 2011
erscheinen.
Set-List:
Concerto Movement 1
Concerto Movement 2
Concerto Movement 3
Pause
Pictures of home
The sun will shine again
Bouree
Pictures within
The Telemann Experiment
Wait a while
Gigue
Zugaben:
Soldier of fortune
Child in time
Besetzung:
Jon Lord, Hammondorgel und Klavier
Kasia Laska, Gesang
Steve Balsamo, Gesang
Demon’s Eye:
Mark Zyk, Gitarre
Maik Keller, Bass
Andree Schneider, Schlagzeug
Deutsches Filmorchester Babelsberg
Leitung: Scott Lawton
Bilder: Michael Höllen
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