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Paice - Ashton - Lord: Live
(T2 Media, T2DVD 0109, DVD, Deutschland, 5. April 2007)

von Florian Pritsch (Keyboarder von Demon`s Eye)

Nachdem sich der Hardrock-Dinosaurier Deep Purple nach den desaströsen England-Konzerten im März 1976 aufgelöst hatte, standen Keyboarder Jon Lord und Drummer Ian Paice zum ersten Mal nach langer Zeit "arbeitslos" da, die Band, die seit 1968 ihr Leben bestimmt hatte, existierte nicht mehr. Nun verfolgten die ehemaligen Mitmusiker neue eigene Ziele: Gitarrist Ritchie Blackmore, der Deep Purple ja bereits 1975 verlassen hatte und der durch den Amerikaner Tommy Bolin nicht adäquat hatte ersetzt werden können, startete mit Rainbow durch (Album "Rising"), Sänger David Coverdale bereitete seine Solokarriere vor (aus der sich schließlich die Band "Whitesnake" entwickelte) und auch Lord und Paice beschlossen fast unmittelbar, ein neues Projekt auf die Beine zu stellen: statt einer klassischen Five-Piece-Rockband sollte allerdings eine Bläser-Section dazukommen, für die wichtige Position eines Frontmans (der ferner auch als zweiter Keyboarder fungieren würde) war Lords Freund Tony Ashton vorgesehen, ein britischer Sänger/Keyboarder (früher in der Trio-Formation "Ashton Gardner & Dyke"). Lord und Ashton wollten an die Tradion ihres gemeinsamen Albums "First Of The Big Bands" anknüpfen, das im September 1974 in live vorgestellt worden war (Drummer waren Ian Paice und Carmine Appice gewesen). Mithilfe von Anzeigen gelangte man zu dem Bassisten Paul Martinez, als Gitarrist bestand Bernie Marsden die Auditions, der durch Blackmores Drummer Cozy Powell (in dessen Soloband "Hammer" Marsden gespielt hatte) von dieser Sache in Kenntnis gesetzt worden war. Abgesehen von seinem rock´n´roll-beeinflussten und melodiösen Gitarrenspiel überzeugte Marsden durch die Möglichkeit, ebenfalls als Sänger eingesetzt werden zu können.

Nachdem Lord bereits im Juli sein bis heute wohl eindrucksvollstes Soloalbum, "Sarabande", veröffentlicht hatte, wird im August das PAL-Line up offiziell vorgestellt, im September/Oktober 1976 finden in den bekannten Musicland-Studios (München) die Aufnahmen zum ersten "Paice Ashton Lord"-Album statt, das im März 1977 veröffentlicht wird.

Statt einer eigentlich geplanten Europa-Tour, die aus finanziellen Erwägungen scheitert, bleiben schließlich nur fünf England-Dates. Der erste findet statt im Rahmen einer BBC TV Show "Sight And Sound In Concert" (10. März), es folgen Konzerte im Birmingham Odeon (26. März), in der Newcastle City Hall (28.) sowie im bekannten Londoner Rainbow Theatre (1. April).

Die nun - dreißig Jahre später - veröffentliche Live-DVD dieser Formation (die den BBC-Mitschnitt enthält) ist ein bemerkenswertes Dokument, auch vor allem deswegen, da es in jener Zeit leider kaum vernünftiges Video-Material von Deep Purple-Musikern gibt! Im Gegensatz zu z.B. Led Zeppelins Doppel-DVD (mit über fünf Stunden Live-Material) sind in Bezug auf DP höchstens "Doin´ Their Thing" (August 1970, BBC TV-Show mit einigen Ausschnitten, in Farbe), "Scandinavian Nights" (März 1972 in Kopenhagen, schwarzweiß, mono) oder "Live In Concert 1973" (Mai 1973 in New York, in Farbe, aber nur drei Songs) zu nennen, außerdem der sehr gute "California Jam"-Mitschnitt (April 1974, in Farbe). Die als oftmals schlechte Kopie gehandelte schwache Vorstellung des Tokyo-Konzertes (im Dezember 1975 mit Bolin, in Farbe) ist zu vernachlässigen.

Klang- und Bildqualität sind - nach den damaligen Maßstäben - sehr gut, PAL bieten ein einstündiges Konzert mit zehn Songs. Im Zentrum eines großen Bühnenaufbaus stehen die Keyboardburgen von Jon Lord und Tony Ashton, der sich beim Singen auch fast ein bisschen an seinen Tasten "festzuhal- ten" scheint. Auf einer zweiten erhöhten Ebene befinden sich Bernie Marsden (rechts, vor dessen Marshall-Amps-Wand) und Paul Martinez (links), dahinter im Zentrum schließlich thront Ian Paice hinter seinem Ludwig-Drumset. Brass-Section sowie zwei Backgroundsängerinnen sind links daneben postiert.
Wie klingt die Musik von Paice Ashton Lord? Rockig, mit rollenden Clavinet-Figuren oder Piano-Akkorden (Lord), mit charakteristischer Gitarrenarbeit und prägnanten Soli (Marsden), swingendem funky-Drumming (Paice), trockenem Bass (Martinez), darüber präzisen Brass-Akzenten und einem reizvollen, ein bisschen an Soul und Gospel erinnernden Kontrast von gravitätischen Lead-Vocals (Ashton) und helleren Backings. Obwohl auch Ashton seine kleinen solistischen Freiräume bekommt, ist Lord mit seiner zupackenden Attitüde und seinem Feeling der Solist des Abends. Neben den groovigen Titeln ("Ghost Story", "Silas And Jerome", "Remember The Good Times" und natürlich "Malice In Wonderland") sind das bluesig "kriechende" "Sneaky Private Lee" und der "Steam Roller Blues" hervorzuheben; hier kann Marsden auch mit souveränen Vocals überzeugen. Ein Höhepunkt ist die schmerzvolle Ballade "I´m Gonna Stop Drinkin´".

Obwohl Lord und Paice mit diesem Stil etwas eigenes Charakteristisches geschaffen hatten, das sie vom übergroßen Schatten Deep Purple emanzipierte, wissen wir, dass dieses Projekt bald darauf scheiterte. Warum? Aus zwei Gründen:
Einmal hatten beide sehr viel Geld in dieses Vorhaben gepumpt, das sich schneller rentieren sollte, als es das schließlich konnte; die Zeit, sich einen Markt für diese Musik aufzubauen, gab es nicht. Das Hauptproblem indes bestand in der Tatsache, dass Ashton mit seiner Rolle als Frontman einer größeren Band - dazu auf größeren Bühnen, vor viel Publikum - nicht klarkam. Er, dessen Wortwitz und Humor sich eher in der intimen Kneipenatmosphäre ausleben konnte und dort zur Wirkung kam, half hier wenig, zumal wenn mancher Besucher sich in ihm einen Nachfolger so überragender Persönlichkeiten wie Ian Gillan oder Coverdale vorstellte!
Noch eine kleine Geschichte am Rande (die hier erzählt werden kann, da Lord sie selbst auf seiner letzten "Beyond The Notes"-Solotour launig zum besten gab): die wohl zur Stärkung seines angeknacksten Selbstbewußtseins notwendig gewordene übermäßige Einnahme von Alkohol führte dazu, dass Ashton im London-Konzert von der Bühne in den Orchestergraben stürzte! Arg lädiert hinkte er danach wieder ins Scheinwerferlicht, aber dieser Vorfall war wohl zu symptomatisch ...

Das Ende dieser kurzen Episode: Es wurden noch einige Backing Tracks zu einem nächsten Album aufgenommen (wiederum in den Musicland-Studios), aber die Luft war raus, das Ganze wurde nie zuende geführt. Im Frühjahr 1978 fiel die Entscheidung, die Band aufzulösen. Marsden ging dann im Februar 1978 zu Whitesnake, ihm folgten Lord (im August) und Paice ein Jahr später (Juli 1979).

Einen weiteren Höhepunkt stellt die 50minütige Dokumentation dar, die dem Konzert angefügt wurde; unter dem Titel "Lifespan" lief sie damals in manchen Kinos. Gezeigt werden Szenen hinter den Kulissen - u.a. die Arbeit der Band im Studio und on Tour. Für Fans von Lord und Paice ein absolutes Muss, auch wenn die Ton- und Bildqualität von "Lifespan" eher durchschnittlich ist.

Live-DVD:
Ghost Story / On The Road Again, Again / Silas And Jerome / Arabella (Oh Tell Me) / The Ballad Of Mr. Giver / I’m Gonna Stop Drinkin’ / Steam Roller Blues / Remember The Good Times / Malice In Wonderland / Sneaky Private Lee